Im Krieg benutzen Angreifer häufig Vergewaltigungen als Waffe. So war es in der Ukraine, so war es am 7. Oktober. Und doch werden diese Verbrechen immer wieder geleugnet – mit verheerenden Auswirkungen.

Etwas längst Bekanntes sorgte kürzlich für Nachrichten. Die international tätige NGO Human Rights Watch hatte festgestellt, dass der von der Hamas geplante und am 7. Oktober 2023 mithilfe mehrerer dschihadistischer Truppen durchgeführte Angriff auf Israel darauf aus war, so viele Zivilisten wie möglich zu töten, Geiseln zu nehmen und zu entführen. Damit nicht genug: Die bewaffneten Gruppen hätten, so das Ergebnis monatelanger Recherchen, etliche Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, die Kriegsverbrechen gleichkämen, begangen, darunter Angriffe auf Zivilisten und zivile Objekte, vorsätzliche Tötungen von Personen in Gewahrsam, Grausamkeiten und Verbrechen im Zusammenhang mit sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt, Verstümmelung und Schändung von Leichen, Nutzung von Geiseln als menschliche Schutzschilde sowie Plünderungen und Raub.

Aber, wie gesagt: All das war und ist schon lange bekannt. Denn es gibt Bücher über den 7. Oktober, es gibt Filme, es gibt Zeugenaussagen von Überlebenden und von befreiten oder freigelassenen Geiseln. Vor allem aber ist der 7. Oktober der erste Massenmord mit über tausend Toten, der mit GoPro-Kameras dokumentiert wurde – und zwar von den Tätern, sprich: der Hamas und vier weiteren palästinensischen Terrorgruppen. Hinzu kamen verstreute Dashboard-, Überwachungs-, Verkehrs- und Smartphone-Kameras als stumme Zeugen.

Besonders bemerkenswert sind die Videos der Angreifer, weil sie sich nicht scheuten, ihre Taten, so schnell es ging, in die Nervenbahnen des Internets zu speisen und mit den Grausamkeiten zu prahlen, um Opfer, ob tot oder noch lebendig, ein weiteres Mal zu demütigen. Letzteres erinnert an die Gräueltaten des Islamischen Staates (IS), der während seiner kurzen Terrorherrschaft mit Vorliebe Videos und Fotos ins Netz stellte, auf denen zu sehen war, wie seine Schergen gefesselten Gefangenen die Kehlen durchschnitten. Hier wie da lag der Sinn dieser abgefeimten Prahlerei nicht nur in der Absicht, auf abscheuliche Weise Schrecken zu verbreiten, sondern auch Anhänger und Sympathisanten für die eigene islamistische Herrschaft zu gewinnen und aufzustacheln gegen den vermeintlichen Feind. Heute wissen wir, dass die Henker-Videos des IS insofern Erfolg hatten, dass sich tatsächlich aus allen Himmelsrichtungen (auch aus Europa), junge Frauen und Männer in Bewegung setzten, um teilzutun am dschihadistischen Terror der durchgeschnittenen Kehlen. Und auch die Hamas konnte trotz der dargestellten blutigen Grausamkeiten Begeisterung und Zustimmung aus allen Himmelsrichtungen auf ihrem politischen und propagandistischen Konto verbuchen.

EINE ÖFFENTLICHE LEUGNUNGSKULTUR

Manch ein Zeitgenosse und vielleicht auch die Experten von Human Rights Watch mögen nach der Veröffentlichung ihrer Untersuchung gehofft haben, dass Zweifel an dem Umfang, der Bestialität und der Realität des Massakers vom 7. Oktober nun verschwinden, zumindest aber weniger würden. Weit gefehlt. Sehr weit gefehlt.

Schon Stunden nach dem Massaker hatten sogenannte „Influencer“ im Netz damit begonnen, die Tatsache, dass es das Massaker gegeben hat, zu bestreiten, und wenn da doch etwas geschehen sei, dann seien zumindest keine Zivilisten ermordet, niemand vergewaltigt, gequält, enthauptet und von dem überfallenen Supernova-Musikfestival entführt, sondern nur in Krankenhäuser nach Gaza verbracht worden. Das ging Wochen so, und der abscheuliche Überbietungswettbewerb brachte mächtig Klicks für diese modernen Propagandisten. Auf den ersten Blick hat diese Infamie nachgelassen, aber die Saat, die hier millionenfach über den Globus verstreut wurde, ist aufgegangen und hat den antiisraelischen Hass mobilisiert und verfestigt.

Mittlerweile hat sich die öffentliche Leugnungskultur auf ein verbrecherisches Detail kapriziert. Warum? Weil dieses Detail das „progressive“ Selbstverständnis, das einen Terrorakt ohne Skrupel und mit leichter Hand zu einer Widerstandstat umetikettieren kann, wenigstens ein bisschen in Verlegenheit bringt: nämlich der sexuelle Missbrauch, ja, die Vergewaltigung von Frauen. Das passe nämlich so gar nicht zu Widerstandskämpfern der guten Sache – also muss das in Frage gestellt werden. Und so passiert es: Mal werden Vergewaltigungen ganz geleugnet, das seien Fake News; dann, wenn die Tatsachen zu erdrückend sind und man doch etwas dumm da stehen könnte mit seinem Leugnen, nennt man es Einzelfälle und die Schwere der Tat auch noch unspezifisch; dann, wenn die Perfidie solcher Behauptungen aus jeder Pore quillt, bestreitet man vehement, dass beim Überfall am 7. Oktober systematisch vergewaltigt wurde, was angesichts der Opferzahlen, Zeugenaussagen und veröffentlichten Bilder natürlich auch schon eine maßgebliche Verkleinerung der Taten ist; und am Ende fragt man ganz intellektuell schwergewichtig und scheinheilig, wem die Vergewaltigungen eigentlich nutzen („Cui bono?“). Schon hat man neben einer weiteren Relativierung der Tat eine Umpolung in der Verantwortlichkeit, immer weiter weg von den Tätern.  

GEFALLENE GRENZEN  

Die Zahl der Leugnungen von diesem und jenem hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Man kennt von früher noch den Holocaust-Leugner; das waren Personen, die ganz weit rechtsaußen standen, Alt-Nazis, Neonazis, Hitler-Verehrer, die eine Schwäche für WW2-Militaria hatten. Sie veröffentlichten ihre Lügengeschichten in kleinen, billigen Postillen und ihre indiskutablen Bücher in Verlagen, die kein Feuilleton je erwähnen würde. Früher, ja, früher gehörten solche Leugner zum nicht ernstzunehmenden Narrensaum der Gesellschaft, sie agierten hinter der Barbarengrenze, ohne eine Chance darauf, in der breiten und seriösen Öffentlichkeit Aufmerksamkeit zu erlangen. Heute ist das alles anders. Einst eherne Tabus fallen wie die Kegel. Das Ungeheuerliche ist normalisiert worden. Es gibt neben den Holocaust-Leugnern noch die Corona-Leugner, die Klimawandel-Leugner und jetzt eben auch die Missbrauchs-Leugner. Das hat zu einem guten Teil mit den asozialen Medien des Internets zu tun, aber in gleichem Maße mit dem Versagen der „seriösen“ Öffentlichkeit. So werden Leugner des Massakers vom 7. Oktober noch belohnt und bekommen Preise, Buchverträge, Einladungen zu Festivals, Dossiers, Diskussionen, Kolumnen usw. Das Leugnen von Verbrechen ist enttabuisiert von einer Öffentlichkeit, die kein Ethos mehr kennt, nur noch die diskutable „umstrittene Meinung“, so absurd, beleidigend, irreführend, demütigend und schändlich sie auch ist. Die Grenzen zu den Narren und Barbaren sind gefallen. Und sie bringen mit jeder Leugnung von Tatsachen eine „alternative“ Geschichte mit: eine Verschwörungsphantasie, ein Lügengespinst, eine Verwirrungsfabel, bei denen häufig genug Juden die Protagonisten hergeben müssen.

Eigentlich ist das alles mittlerweile nah am Fall des Radiomoderators und Verschwörungstheorienverkäufers Alex Jones, der den Amoklauf in der Grundschule Sandy Hook, bei dem über 20 Menschen erschossen wurden, zu einer Inszenierung der Regierung Obama erklärte und die Eltern, die den Tod ihrer Kinder beklagten, als Schauspieler und Lügner bezeichnete. Obwohl es natürlich unwiderlegbare Beweise für dieses Massaker gab, nämlich viele Tote, wurden diese einfach als „Fakes“ abgetan. So wie die systematischen Grausamkeiten und Vergewaltigungen am 7. Oktober als Fake News abgetan wurden und werden. Doch während Jones mittlerweile zu einer milliardenschweren Strafe verdonnert wurde, belohnt man hier die Leugner und Verschwörungstheoretiker mit respektierender Aufmerksamkeit.

GEFEIERTE VERBRECHEN

Zu einem anscheinend nicht totzukriegenden Missverständnis gehört die Ansicht, im Krieg seien Vergewaltigungen allein so etwas wie ein Beifang für Soldaten, ein symbolischer wie physischer Lohn, der nach Kampfhandlungen im Affekt verdient wird. So etwas Perverses gibt es. Aber in erster Linie sind Vergewaltigungen vom Angreifer geplante und sanktionierte Handlungen gegen Frauen (und immer öfter auch Männer), die den Zweck haben zu unterwerfen, zu erniedrigen, zu verletzen und zu verstümmeln. Das gilt seit der ganzen langen Menschheitsgeschichte so und wurde u.a. im Zweiten Weltkrieg, in Ruanda, in Bosnien, in Darfur, der Ukraine und auch am 7. Oktober so praktiziert. In jüngster Zeit hat dieses Vorgehen die estnisch-finnische Schriftstellerin Sofi Oksanen in ihrem langen Essay „Putins Krieg gegen die Frauen“ anhand des russischen Krieges in der Ukraine beschrieben und analysiert. Ihre Erkenntnisse kann man nicht nur auch auf den Terrorangriff vom 7. Oktober übertragen, man muss  es geradezu. Denn die Truppen, die die Ukraine angriffen, haben sich systematisch sexueller Gewalt gegen Frauen (und Männer) schuldig gemacht, unabhängig von deren Alter: „Die russischen Soldaten vollbrachten ihre Verbrechen auf der Straße oder zwangen Angehörige, die Tat mitanzusehen. Eltern wurden gezwungen, sich die Vergewaltigung ihrer Kinder, und Kinder, die Vergewaltigung ihrer Eltern mitanzusehen. Manche Opfer wurden zu Tode vergewaltigt.“

Für Oksanen ist klar: Sexuelle Gewalt ist eine kostengünstige Waffe, sie traumatisiert Gemeinschaften und Familien für Generationen, sie verändert die Bevölkerungsstruktur des betroffenen Gebiets, sie sind Teil eines Völkermords, weil vergewaltigte Frauen sehr oft keine Kinder mehr bekommen.

Ausführlich beschreibt sie auch die indirekte Mittäterschaft von Müttern und Gemeinschaft in Russland, denn ohne die Unterstützung durch die Heimatfront wären diese Kriegsverbrechen nicht möglich – schließlich müssen die Soldaten sicher sein, dass sie zu Hause wieder willkommen sind, am liebsten als Helden. Dass sich auch die Täter vom 7. Oktober gewiss sein konnten, zuhause gefeiert zu werden, während sie ihre geschändeten Geiseln präsentierten, belegen die Bilder und Videos aus den Straßen Gazas. Und doch ist da ein Unterschied zwischen den Verbrechen: Die Russen leugnen ihre Taten, streuen Zweifel, verbreiten irreführende Propaganda, mit denen sie den verhassten Gegner verantwortlich machen, und betreiben systematisch Täter-Opfer-Umkehr. Trotzdem finden sie genügend Sympathisanten im Westen, die die offensichtlichen Widersprüche überspielen, indem sie dem Westen eine Mitschuld geben und somit die russischen Verbrechen relativieren. Die Hamas hingegen renommiert mit ihren Taten, weil sie sich sicher sein können, dass die Parteigänger und Sympathisanten im Westen das Leugnen übernehmen. Sie wissen um deren Drang, sich selbst unterwerfen zu wollen: unter eine Ideologie, einen Glauben, eine Lüge.

Wissenschaftler, Intellektuelle, Journalisten, Influencer, Aktivisten, Demonstranten lieben die kognitive Dissonanz, leugnen Misshandlungen und Morde, Folterungen und Vergewaltigungen, sie sagen einfach, das seien Fake News, es sei alles ganz anders gewesen oder zumindest alles irgendwie verständlich. Diese Ausreden vor sich selbst und den anderen entlasten moralisch und schützen den eigenen Fanatismus, die offensichtlichen Irrtümer und den höchst lebendigen Antisemitismus.

Wenn Leugner aber Täter decken, machen sie sich dann nicht nur eines moralischen, sondern eigentlich auch eines strafrechtlichen Verbrechens schuldig?

Es ist so bitter, aber es scheint kein Ende nehmen zu wollen: Die Grausamkeit bekommt von Parteigängern und Sympathisanten immer eine ideologische Deckung, die Bestialität immer ein Verständnisheischen, das Morden immer eine Legitimierung – und sie scheinen nicht begreifen zu wollen, dass das den Tätern letztlich eine Ermutigung ist, immer weiterzumachen.