35 Jahre nach der Wende ist das Land immer noch zerrissen. Das wird sich bei den Landtagswahlen wieder zeigen.

Bei den Ostwahlen kann die rechtspopulistische AfD Umfragen zufolge in der Ex-DDR stärkste Kraft werden. Anhand der Europawahlen-Ergebnisse kann man schon jetzt die ehemalige deutsch-deutsche Grenze nachziehen. Wie in einer Nussschale ist dieses Phänomen in einem winzigen Dorf sichtbar, durch das die bayerisch-thüringische Grenze verläuft.

Mödlareuth, ein 50-Einwohner-Kaff 80 Kilometer nördlich von Bayreuth (Bayern), liegt lieblich zwischen Hügeln und Wäldern. Als die Alliierten Deutschland von Adolf Hitler befreiten, trafen genau hier die Armeen der Amerikaner und der Sowjets aufeinander. Und der Tannbach, ein Rinnsal, wurde 1945 die Grenze zwischen den Besatzungszonen. So kam es, dass die deutsch-deutsche Grenze mitten durch das Dorf lief und die DDR-Diktatur sogar eine 700 Meter lange Mauer samt Wachtürmen und Stacheldraht baute – Klein-Berlin. Das Bächlein mutierte zu einer unüberwindbaren Schlucht im Kalten Krieg.

Immer noch ein Riss


Nun ist die Mauer im Dorf nur noch ein Mahnmal, Deutschland wieder eins. Auf der einen Seite liegt Bayern, auf der anderen Thüringen. Bei den Europawahlen kam die AfD auf dem Wahlkreis der thüringischen Seite (Saale-Orla-Kreis) auf 37,6 Prozent. Auf der bayerischen Seite (Landkreis Hof) mit 15,6 Prozent auf weniger als die Hälfte.

Am 1. September wird in Sachsen und Thüringen gewählt. Die AfD wird Umfragen zufolge in Thüringen stärkste Partei, liefert sich in Sachsen ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der CDU.

Wie kann es sein, dass die Menschen fast vier Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer immer noch so unterschiedlich ticken? Lokführer Jakob (32) aus Bayern besucht das Freilichtmuseum, das im Dorf an die dunkle Vergangenheit erinnert. „Ich schätze, das ist die Angst von Früher. Die Stasi-Geschichte wird von Generation zu Generation weitergegeben. Da ist viel Abneigung gegen das Neue“, sagt er.

Im Dorf, auf der Ostseite hängen viele AfD-Plakate, haben die wenigen Anwohner ewige Journalistenfragen satt. Hörbar ist die Trennung noch an den Dialekten. Auf der einen Seite Ostmitteldeutsch, auf der anderen Seite Fränkisch. Eine Ostberlinern zog vor 18 Jahren in die auf die thüringische Seite und lebt da abgeschieden mit ihren Tieren. Sie schaue keine Nachrichten und interessiere sich nicht für Politik. „Ich weiß nicht mal wirklich, wer Trump und Putin sind“, sagt sie und lacht.

„Alle hier wählen AfD“


Im vier Kilometer entfernten thüringischen Hirschberg (2500 Einwohner) wirbt die AfD mit Sprüchen wie „Der Höcke macht’s“, „Fachkräfte machen wir selbst“ und einem Flugzeug-Foto mit dem Slogan „Sommer, Sonne, Remigration“.

„Remigration“ – die AfD behauptet, sie meine damit „alle Maßnahmen und Anreize, die auf eine rechtsstaatliche und gesetzeskonforme Rückführung ausreisepflichtiger Ausländer in ihre Heimatländer abzielen“. Andere glauben, dass damit langfristig auch die Ausweisung von Migranten gemeint ist, die einen deutschen Pass haben und sich in Deutschland „nicht assimiliert“ haben.

Am Penny-Parkplatz von Hirschberg sagt Oberflächentechniker Marko (31), freundlich und aufgeschlossen, warum er und alle aus seinem Freundes- und Familienkreis die AfD wählen werden.

„Das sind alles Leute, die früher SPD und CDU gewählt haben, aber es hat einfach nicht funktioniert“, sagt er. „Die Menschen hier glauben, dass die AfD vieles besser machen kann, auch wenn sie sich noch beweisen muss, wenn sie in der Verantwortung ist.“ Deutschland sei immer noch nicht wirklich zusammengewachsen, den Menschen im Westen gehe es besser.

Tatsache ist: Zwar ist das Gehaltsniveau nicht auf einer Stufe, aber weit über 1600 Milliarden Euro flossen seit 1990 aus dem Westen in den Osten, kaputte Städte wurden wieder aufgebaut, Infrastruktur erneuert.

„Integrieren und fertig“

Markos Meinung nach brauche es ein Miteinander von Links und Rechts und der Mitte, um das ganze Land nach vorne zu katapultieren. „Definitiv muss wieder mehr für das eigene Land getan werden. Mehr für die Kinder, für die Infrastruktur, unsere Steuergelder nicht ins Ausland schicken. Nicht Ukraine. Wir zuerst und danach der Rest“, sagt er. Dass Russland, sollte die Ukraine fallen, auch Deutschland bedroht, sieht er offenbar nicht.

Und: Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke (52) ist rechtsextrem, ihn als „Nazi“ zu bezeichnen ist laut Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main ein „an Tatsachen anknüpfendes Werturteil“. Dass der mit gemäßigten Politikern zusammenarbeiten würde – oder die mit ihm –, ist sehr unwahrscheinlich.

Was sagt Mirko zur Einwanderungspolitik? „Ich finde, wenn Leute aus anderen Ländern hier herkommen, kein Problem, aber dann sollen die für das Land auch was tun. Nicht nur einfach Gelder abfassen und sich ein schönes Leben machen. Da kann man viel drüber philosophieren, aber wer herkommt, soll sich integrieren und fertig.“

Neonazis seien er und seine Freunde auf keinen Fall. Seine Frau stamme aus dem Ausland, aus Russland. Auf seinem Arm prangen in roter Farbe neben Worten wie „Hoffnung, Kraft, Ehre“ auch Tattoos mit „Toleranz und Freundlichkeit“.

35 Jahre nach der Wende sind die Wunden der deutschen Teilung auch hier immer noch tief und eitern.