In der Schachtanlage Asse 2 bei Wolfenbüttel lagert seit den 1960er Jahren Atommüll. Die Gefahren, die von dem schwach- und mittelradioaktiven Abfall ausgehen, werden maßlos übertrieben. Die geplante Bergung ist unsinnig und wird für politisches Theater missbraucht.

Als „Atomklo“ der Republik bezeichnen Aktivisten aus der Region Braunschweig ihre Heimat gern. Mit Schacht Konrad befindet sich hier der einzige genehmigte Endlagerstandort in Deutschland. In weniger als zehn Jahren sollen im ehemaligen Eisenerzbergwerk in der Stahlstadt Salzgitter schwach- und mittelradioaktive Abfälle eingelagert werden.

In Braunschweig selbst sorgt die Firma Eckert & Ziegler immer wieder für Furore, die am Standort nicht nur Radio-Isotope für verschiedene Anwendungen herstellt und medizinische Strahlungsquellen entsorgt. Dem Unternehmen wird außerdem von einer Bürgerinitiative unterstellt, dass es künftig Atommüll auf dem Betriebsgelände lagern und aufbereiten wolle.

Direkt östlich angrenzend an die Region liegt das Endlager Morsleben mit schwach- und mittelradioaktivem Abfall, der größtenteils aus der DDR stammt. Und weiter nördlich lagern im Wendland (Gorleben) die abgebrannten Brennelemente aus den Kernkraftwerken Philippsburg, Neckarwestheim und Grundremmingen sowie aus der Wiederaufbereitungsanlage La Hague.

126.000 Fässer mit Atommüll lagern in der Asse bei Wolfenbüttel

Was Kernkraftgegner und Strahlenängstliche aber vor allem umtreibt, ist die Asse. Im gleichnamigen Höhenzug bei Wolfenbüttel wurde lange Zeit Kalisalz abgebaut. Eines der alten Bergwerke, die Schachtanlage Asse 2, wurde ab den 1960er Jahren als „Forschungsendlager“ genutzt. Ausschlaggebend für die Wahl des Standorts war wohl weniger die besondere geologische Eignung des Salzstocks, der nach Jahrzehnten des Bergbaus durchlöchert ist wie ein Schweizer Käse, als der Sparpreis, für den das Bergwerk zu haben war.

Das gelbe A mit der Aufschrift „AufpASSEn“ ist in der Region überall präsent, als Aufkleber, Ansteckbutton und vor allem als aus Holzlatten gezimmertes Mahnmal an Hauswänden und Straßenrändern. Tatsächlich gibt es an der von 1967 bis 1978 durchgeführten Einlagerung der etwa 126.000 Fässer mit rund 47.000 Kubikmetern strahlendem Müll aus Forschung, Medizin und Anlagen der Energieversorgung und der kerntechnischen Industrie einiges zu kritisieren: von der Auswahl des Bergwerks, über die Kommunikation der vielfach wechselnden Betreiber der Anlage und die Verheimlichung von Problemen wie dem Einsickern von Wasser ins Grubengebäude bis zur teils absichtlich falschen Deklarierung von Abfällen. Doch kippt die berechtigte Kritik nicht nur auf Seiten der Aktivisten vor Ort, sondern auch in der Berichterstattung regelmäßig in überzogene Angstmache.

Panikmache um angebliches Absaufen des Atommüll-Endlager Asse

Jüngstes Beispiel dafür ist die Aufregung ums Grubenwasser. Das kommt seit einigen Monaten nicht dort an, wo der Betreiber, die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), es erwartet. Und sogleich legt sich das Panikorchester mächtig ins Zeug: „Asse säuft ab“, schreibt Spiegel online falsch, aber noch geradezu nüchtern. In der „Zeit“ deutet sich schon „eine Katastrophe an“, und bei der TAZ ist das „radioaktive Desaster“ bereits eingetreten.

Hintergrund der Meldungen ist, dass nicht mehr die üblichen rund zwölf Kubikmeter Grubenwasser pro Tag in der zentralen Auffangstelle ankommen, sondern deutlich weniger. Ein Großteil wird stattdessen auf der tiefer gelegenen 725-Meter-Ebene aufgefangen – näher am, aber weiterhin ohne Kontakt zum Müll auf der 750-Meter-Ebene. Etwa 3000 Liter Salzwasser landen aber irgendwo anders. Um die Dimensionen zu verdeutlichen, weil Zahlen wenig aussagen, wenn sie nicht ins Verhältnis gesetzt werden: Eine durchschnittliche Abbaukammer in der Schachtanlage hat ein Volumen von 36.000 Kubikmetern. Eine solche Kammer mit dem verschwindenden Wasser zu fluten, würde mehr als 32 Jahre dauern, für die komplette Anlage mit mehr als 100 Kammern bräuchte es weit mehr als 4000 Jahre.

Dass die Anlage irgendwann plötzlich vollläuft, ist eine reale Gefahr. In benachbarten Schächten der Asse ist dies bereits geschehen. Trotzdem ist es Unfug, wenn nun berichtet wird, die Asse saufe ab. Am Zufluss hat sich nichts geändert. Die Menge des täglich ins Bergwerk eindringenden Wassers ist konstant. Der Weg hinein in einer Tiefe von 500 bis 600 Metern, wo die Abbaukammern besonders nahe ans Deckgebirge getrieben wurden, ist bekannt – lediglich der Weg durchs Grubengebäude hat sich verändert. Die BGE geht davon aus, dass die „fehlenden“ zwei bis drei Kubikmeter im Versatz, also dem Salzgrus, mit dem einige Kammern verfüllt wurden, versickern. Da bis zu 30 Prozent des Volumens von derartig verfüllten Kammern aus Hohlräumen bestehen, kann allein eine einzige verfüllte Kammer rund 14.000 Kubikmeter Lauge aufnehmen. Gefährlich ist das nicht.

Gefahr des Atommülls in der Asse wird übertrieben

Die eigentliche Sorge bezieht sich aber nicht auf die Flutung, sondern auf den Atommüll, der sich im Wasser lösen und mit diesem an die Oberfläche gelangen könnte. Laut dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, Andreas Audretsch, droht eine „Umwelt-Katastrophe“. Ähnlich äußerte sich Christian Meyer, der als Umweltminister Niedersachsens die Aufsicht über die Anlage führt, gegenüber der Braunschweiger Zeitung. Die für das Augstein-Blatt „der Freitag“ schreibende Anti-Kernenergie-Hysterikerin Dr. Eva Stegen warnt, Flüsse könnten verseucht und die Gegend „unbewohnbar“ werden.

Doch nicht nur, dass das Wasser nach derzeitigem Wissen gar nicht in Kontakt mit dem Müll kommt; selbst wenn es so wäre, müsste es von dort erst einmal mehrere hundert Meter nach oben steigen, um ins Grundwasser zu gelangen. Auch wenn Wasser üblicherweise nicht nach oben fließt, ist das durchaus möglich: Das Gebirge drückt die Hohlräume im Salz zusammen und presst dabei möglicherweise kontaminiertes Grubenwasser heraus. Das Notfallkonzept der BGE sieht allerdings vor, das Wasser mit Hilfe von Strömungsbarrieren möglichst lange im Gebäude zu halten. Bis es hinausgelangt, vergehen Jahrhunderte, bis zur Ankunft im Grundwasser womöglich Jahrtausende. Und was dann oben ankäme, wäre hauptsächlich schnöde Salzlauge.

Bergung des Atommülls ist gefährlicher als Flutung der Schachtanlage

Denn in all der Zeit zerfallen die in der Asse gelagerten Radionuklide. Cäsium-137 zum Beispiel, mit dem tatsächlich ein Teil der Lauge auf der 750-Meter-Sohle belastet ist, hat eine Halbwertszeit von 30 Jahren. Bis die Lauge die Oberfläche erreichte, wäre der überwältigende Teil des Cäsiums somit längst zu nicht radioaktivem Barium-137 zerfallen. Zudem liegt die Gesamtaktivität des Assemülls derzeit bei 1,5 Billiarden Becquerel. Das entspricht etwa einem Zweihundertstel des Inhalts eines einzigen Castor-Behälters. Bei der Kernschmelze von Fukushima wurde etwa 10.000 Mal so viel Strahlung freigesetzt.

Darüber hinaus sickert in die unteren Ebenen der Anlage kein Süßwasser ein, sondern eine gesättigte Salzlösung, und die kann kein weiteres Salz mehr aufnehmen. Sie würde daher nur ein Bruchteil des Mülls überhaupt mobilisieren. Sollte davon nach Jahrhunderten etwas oben ankommen, würde ganz sicher nichts unbewohnbar. Deswegen stellte die Strahlenschutzkommission (SSK) des Bundes schon 2016 fest, dass „eine Gefährdung von Personen der Bevölkerung auch im Falle eines unbeherrschbaren Lösungszutritts auszuschließen“ ist.

Anders ist es hingegen bei der Bergung des Mülls. Diese sinnlose politische Entscheidung erzeugt ein völlig unnötiges Risiko für das Personal der BGE. Schon vor knapp 20 Jahren bescheinigte der damalige Betreiber der Asse eine geringe Resttragfähigkeit und sah die Stabilität des Grubengebäudes nur bis 2013 gewährleistet. Doch statt der Empfehlung der SSK zu folgen, die Anlage zu verfüllen und dicht zu machen, verabschiedete der Bundestag unter dem Druck der von den Grünen angeführten Umweltverbände das „Lex Asse“, das die beschleunigte Bergung des Mülls vorsieht.

„Atomklo“ Asse als unverzichtbares Argument gegen die Kernenergie

Damit wurde die Asse vom unschönen, aber lösbaren Problem zur Dauerbaustelle und Bühne für ritualisiertes Polit-Theater. Jeder Bundesumweltminister fährt mindestens einmal mit medialem Gefolge ins Bergwerk ein und lässt sich behelmt und mit besorgter Miene in der Mine ablichten. Sie sprechen dann von einer „offenen Wunde“ (Peter Altmaier) oder einer „Riesensauerei“ (Steffi Lemke). Und alle wollen jetzt aber mal endlich Tempo machen bei der Bergung – um dann wieder nach Berlin zu verschwinden.

So bleibt die Asse tatsächlich eine offene Wunde. Die ständige Skandalisierung (gern auch vor Wahlen) lässt sich propagandistisch prima nutzen und als Fanal gegen die Kernenergie anführen. Ausbaden müssen das die Bewohner der Region, die seit Jahrzehnten hingehalten werden, weil eine Lösung des Problems gar nicht im Interesse vieler der beteiligten Politiker ist. Und weil der ins Gesetz gegossene Prozess zudem nur eine Scheinlösung ist. Denn glücklich würde die Region mit der Bergung keinesfalls. Das machte die BGE-Chefin Iris Graffunder jüngst unmissverständlich klar, als sie bei einer Diskussionsveranstaltung erklärte, dass „bestimmte Wahrheiten einfach akzeptiert werden müssen“, nämlich dass der Müll nicht aus der Asse herausgeholt und dann sofort abtransportiert werden könne. „Vorher muss er bearbeitet werden, und das bedeutet: Ohne eine Anlage auf der Asse ist die Rückholung nicht möglich.“

Statt unter der Erde würde der Müll also zumindest für einige Jahrzehnte oberirdisch am selben Ort gelagert. Den endgültigen Beweis, dass es um Theater und Stimmungsmache geht, lieferte unlängst (mal wieder) Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer. Beim Besuch der Asse mit seiner Parteifreundin Lemke forderte er populistisch, den Müll nach der Bergung in ein vorhandenes Zwischenlager zu bringen – „am liebsten in Süddeutschland“. Dem unnötigen Risiko für die Mitarbeiter der BGE soll also noch ein unnötiges Risiko für Bahnmitarbeiter und Polizisten hinzugefügt werden.  

Bio bedeutet ungespritzt. Kernreaktoren können explodieren. Kuba hat ein vorbildliches Gesundheitssystem. Der Körper kann entschlackt werden. Homöopathie ist keine Magie. In unregelmäßigen Abständen begibt sich Johannes Kaufmann hier auf Mythenjagd. Themenvorschläge werden gern entgegengenommen.

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